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Ein Zuspitzer

Nils Minkmar, Heiko Maas, Ludwig Harig
Fotos: Andrea Schramm und WolkeScript

Nils Minkmar im Gespräch mit Heiko Maas

| 20.7.09 | Man sagt, Journalisten hätten die Aufgabe, das Leichte schwer und das Schwere leicht zu machen. Das ist eine schöne Beschreibung. Aber sie scheint für heutige Verhältnisse ein wenig zu romantisch. Zeitdruck essen Seele auf. Die meisten Journalisten können nicht, was sie sollen, weil sie müssen. Gottseidank gibt es aber ein paar Ausnahmen. Nils Minkmar gehört zu ihnen. Er war jetzt Gast beim Kulturforum der Sozialdemokratie im Saarland und berichtete unter anderem, wie es ihm so geht in der Welt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beziehungsweise Sonntagszeitung, deren Kolumnist und Redakteur er ist.

Er schätzt es sehr, dort viel Zeit zu haben für seine Themen. Er schätzt es auch, von den konservativ gestrickten Kolleginnen und Kollegen im Allgemeinen in Ruhe gelassen zu werden. Es herrsche, sagt er, so etwas wie ein liberaler Geist, der ihm, dem bekennenden Linksdenker, seine Vorlieben großmütig nachsehe. Minkmar hat sich längst eine Fan-Gemeinde geschaffen, mit dem, was er im Frankfurter Gallusviertel treibt und schreibt. Er selbst nennt es - mit Peter Glotz - „Arbeit der Zuspitzung“. Dazu gehören kleine und größere Frechheiten, wie die über Bush und McCain. Darüber lachen wir dankbar. Oder über Frank-Walter und seine Surrealistische Partei Deutschlands, dann lachen wir etwas gequält zur Seite.

Im Saarbrücker Rathausfestsaal, in dem die Luft dünn wird, weil zu der Matinée unerwartet viele Leute gekommen sind, sitzt Minkmar mit dem SPD-Vorsitzenden Heiko Maas vor dem Publikum. Im herrschaftsfreien Dialog geht es gerade um die FDP. Was ist da eigentlich los, dass eine Partei Zulauf hat, die den alten Kapitalismus retten will? Minkmar glaubt, da könnte so etwas wie „magisches Denken“ im Spiel sein. Ja, das stimmt. So wie jemand wieder Lotto spielt, obwohl er gerade (und nicht zum ersten Mal) verloren hat. Wie kann man dem Regenmacher Westerwelle also seinen Nimbus nehmen? Ganz einfach, findet der Journalist, man muss ihn öfter ins Fernsehen bringen, damit klar wird, wo er mit seiner Partei eigentlich hinfährt.

Nach Saarbrücken gekommen ist Nils Minkmar wegen seines Buchs. Es heißt „Mit dem Kopf durch die Welt“ und ist eine Sammlung von „personal essays“. Was er daraus vorliest, kommt überaus gut an. Man könnte sagen: Es sind gelunge Versuche, das Leichte schwer und das Schwere leicht zu machen. Nicht dadurch, dass er Fakten anhäuft, weil auch „Standardwerke die Welt nicht mehr erklären können“ (Klappentext). Sondern indem er seine Leserinnen und Leser erzählend einfach mitnimmt zu einigen „modernen Kerngebieten des Normalen“.
Wen wundert’s, dass in dem Band viele Regionalia vorkommen? Nils Minkmar, Jahrgang 1966, ist in Dudweiler geboren und war lange da. Hat bei Richard van Dülmen in Saarbrücken promoviert („Ausgegossene Worte. Stadtbürgerlicher Ehrbegriff, Ehrenkonflikte und Habitus im Colmar des 16. Jahrhunderts in historisch-anthropologischer Perspektive“). Hat hier „Politik als Hobby“ betrieben, wie eines seiner sechs Kapitel überschrieben ist.

Zur Politik befragt ihn jetzt der Profipolitiker Maas. Wie habe er, Minkmar, denn aus der Perspektive eines Frankfurter Publizisten die letzten Jahre an der Saar empfunden? Da lässt der Gast sich nicht lange bitten. Er zeigt große Sympathie mit dem, was vor 1999 passiert ist („eine dynamische Zeit“). Klimmt, Wackernagel-Jacobs, Granz, Breitenbach, Bohr sind im Saal und ganz Ohr. Er sehe nun, sagt Minkmar fast mitleidig in die Runde, in der Ära Müller das Saarland vom nationalen Bildschirm regelrecht „verschwinden“. Der Dschungel drohe sich das Land wieder zu holen. Daher nutze er jetzt immer wieder die Gelegenheit, jenseits der Grenzen positive Vorurteile über Land und Leute zu schüren.

Es geht im Dialog zwischen Maas und seinem Gast aber auch um die großen aktuellen Themen. Die Krise, da sind sie sich einig, verbietet ein Weiter-so, auf das andere sich schon wieder einlassen mögen. Wahrscheinlich war es auch Minkmar, der in der FAZ/FAS eine Diskussion über die Zukunft des Kapitalismus durchgesetzt hat. Vor einem Jahr noch schwer vorstellbar, Chapeau! Mehr Mut zur Wahrheit sei jetzt gefragt, sagt er. Typen wie Steinbrück imponieren ihm.

Als Nils Minkmar später draußen bei Wein und Wasser mit Ludwig Harig zusammensteht, wird am Nebentisch die Frage aufgeworfen: „Alles wahr, was in dem Buch steht?“ Manches, wie die Sache mit Opas Urne, sei doch ein wenig zu glatt. Aber auch das ist Arbeit der Zuspitzung. Minkmar tritt 180 Jahre nach Goethe noch einmal den Beweis an, dass man - durch genau dieses Stilmittel - Wahrheit auch dichten kann.

Wolfgang Kerkhoff

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