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Paraderollen und harte Wirklichkeiten

Kinder am Gerberplatz, um 1958, Manfred Bauer
Kindergruppe um 1925, anonym

| 14.9.10 | Auf den meisten Fotos, die von mir als Kind gemacht wurden, blicke ich irgendwie mürrisch. Der Schulfotograf war mir lästig, wohl hätte ich mich gern auf § 201a StGB berufen, der aber erst später kam. Dort wird die „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ behandelt. Heute freue ich mich aber sehr über die Bilder, auch über die vielen, die Onkel Hans gemacht hat – immerhin mit Rollei und zuletzt Hasselblad.
In der Ausstellung „Kleine Saarländer“ schaut man in viele mürrische Kindergesichter, viele ratlose, stolze, auch amüsierte. Man sieht Kleidungsstücke, die man selbst einmal anhatte, nein: aufhatte, wie die Mütze mit seitlichem Reißverschluss, in die man Groschen, aber auch Brausepulver verladen konnte.
Bis Oktober sind die 160 Bilder im Historischen Museum Saar am Saarbrücker Schlossplatz noch zu sehen. Sie stammen aus dem reichen Bildarchiv des Museums und von privaten Leihgebern.
Es fällt auf: Kinder wurden meist als Objekte in Szene gesetzt. Babys auf Eisbärfell sowieso. Aber auch Soldatensöhne in Phantasie-Uniform, Schulanfänger und Kommunionskinder, Mädchen und Jungen in Paraderollen (sie Köchin, er Jäger). Eine Serie von Reportagefotos des Bildjournalisten Manfred Bauer nimmt eine Sonderstellung ein. Seine Aufnahmen von spielenden Kindern in Saarbrücken entstanden Ende der 1950er Jahre, als Bauer bei Otto Steinert an der Schule für Kunst und Handwerk studierte. Sie waren zur Veröffentlichung bestimmt und sollten nicht wie die meisten anderen Fotos Augenblicke und Situationen fürs private Album festhalten.
Viele der Fotos vermitteln Einblicke in den Alltag der Kinder und ins Privatleben der Familien. Man fotografierte in der Wohnung, vor dem Haus, beim Spielen auf der Straße, bei Ausflügen, Familienfeiern und kirchlichen Festen. Unter diesen nahm Weihnachten, das sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zum Fest der Kinderbescherung entwickelt hatte, eine Sonderstellung ein. Natürlich wurden die Kleinen mit Spielsachen unter dem Tannenbaum reichlich abgelichtet.
Oberhalb der privaten Ebene zeigt die Ausstellung, wie Kinder in Ideologien eingebunden und von den politischen Ereignissen der letzten 100 Jahre getroffen wurden. So halten Fotos, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, die harte Lebenswirklichkeit der Kinder während der Trümmerjahre fest. Meist hatten sie amerikanische Kriegsberichterstatter aufgenommen. Andere Bilder entstanden als Beweisfotos, die den Behörden vorgelegt wurden, um Hilfsmaßnahmen für notleidende Familien durchzusetzen.
Mein Fazit: sehr sehenswert, wenn auch mit eher spartanischen Beschreibungen.

Wolfgang Kerkhoff


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