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Ein visueller Kampf gegen Hitler

| 5.10.10 | „Seine Beerdigung geriet zum stillen Massenprotest gegen das NS-Regime: Über 1.000 Menschen gedachten Franz Künstlers.“ Das war in Berlin, und zwar nicht nach Kriegsende, sondern drei Jahre früher, als der Abschaum noch schäumte. 1942 hatte Künstler, der viel im Gefängnis und eine Zeit im KZ war, aufgehört zu leben, „an den Haftfolgen“ gestorben, wie nüchtern berichtet wird. Er war vorher Parlamentarier und Gewerkschafter, Berliner SPD-Vorsitzender. Eine Broschüre von 1931 hatte ihn zum Hassobjekt der Nazis gemacht. Ihr Titel: „Die Toten mahnen. Nie wieder Krieg“ Darum war es keine Selbstverständlichkeit, dass so viele Leute kamen, als er an einem Septembertag auf dem Treptower Friedhof Baumschulenweg beigesetzt wurde. Nach zeitgenössischen Quellen waren es sogar 3.000, die bekennend trauerten. Das wirft ein helles Licht auf diejenigen, die hingegangen sind, und auf die, die nicht hingegangen sind.

Und da ist sie wieder, die Frage: was wann jemand wissen wollte oder konnte. Jemand, der wollte, konnte; denn es gab Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren, Plakate, die seit dem Ende der 20-er Jahre mit Auskünften über das anschwellende Nazi-Gehabe nicht geizten.

Das Zitat am Anfang stammt von einer beeindruckenden Ausstellung, die bis 19. November im Haus der Stiftung Demokratie Saarland (Bismarckstraße 99, Saabrücken) zu sehen ist. „Kampf dem Hakenkreuz“ ist sie überschrieben, zusammengestellt von der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie zeigt, was an Informationen damals, insbesondere nach dem Wahlerfolg der Nazis im September 1930, auf dem Markt war. Einen visuellen, verbalen Kampf.
Angesichts von 18,2 Prozent NSDAP-Stimmen ging der sozialdemokratische Parteiverlag J.H.W. Dietz in die Offensive: Kurze, scharfe Texte ersetzten langatmige Analysen. Massenwirksame, karikierende Illustrationen und eine andere politische Symbolik waren die neuen Stilmittel. Gemeinsam mit den antifaschistischen Darstellungen des Satireblatts "Der wahre Jacob" waren Massenbroschüren Munition für den Verteidigungskampf von Sozialdemokraten und Gewerkschaftern gegen die unverkennbar tödliche Bedrohung.

Die Ausstellung bringt authentische Materialien und Reproduktionen. Sie erinnert an Künstler und Autoren, die sich in prekärer Situation treu blieben und für die Menschlichkeit fochten. Ihre Rolle ist zu Unrecht vergessen. Zu den herausragenden Namen gehört der von Friedrich Wendel. Der sozialdemokratische Journalist las „Mein Kampf“ mit Verstand und sagte zutreffend das gesamte mörderische Szenario des Hitler-Regimes voraus. Sein Heftchen „Der beabsichtigte Krieg“, 1932 in fünfstelliger Auflage erschienen, ist von grandioser Klarheit. Das heißt wohl auch: Man konnte wissen. | Wolfgang Kerkhoff |

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Öffnungszeiten der Ausstellung: Mo-Do 9-16 h, Fr 9-14 h.


>> Zur Karikatur
Wie Herr Hitler das Wort "legal" in den Mund nimmt. Von Jacobus Belsen, in: Der Wahre Jacob 53 (27. Februar 1932).
Belsen, einer der bedeutendsten russischen Maler, Kupferstecher und Bildhauer Anfang des 20. Jahrhunderts, lehrte bis zur Oktoberrevolution an der Sankt Petersburger Universität für. Musste das Land nach der Oktoberrevolution verlassen und ging 1919 nach Berlin. Dort Möbeldesigner und freischaffender Künstler. Belsen wandte sich zum Schluss der Weimarer Republik mehr und mehr der politischen Karikatur zu und wurde einer der prominentesten Zeichner im "Wahren Jacob". Sein Lieblingssujet war Adolf Hitler, für Belsen ein terroristischer Brandstifter. Nach der Flucht vor den Nazis starb Belsen 1937 in New York.


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